Kleidung: Vom Grundbedürfnis zur Massenware

Kleidung: Vom Grundbedürfnis zur Massenware
Kleidung: Vom Grundbedürfnis zur Massenware
 
Die Entwicklung der Kleidung vom Lendenschurz bis zur Haute Couture ist untrennbar mit den Fortschritten der menschlichen Kultur und Technik verbunden. Die Notwendigkeit, sich zu kleiden, ist durch die vergleichsweise geringe Behaarung des Menschen und das Klima, in dem er lebt, vorgegeben. Wie Felsbilder aus der mittleren Steinzeit belegen, hüllte sich der Mensch lange wohl ausschließlich in Felle oder in daraus gewonnene Lederkleidung. Erst in der Jungsteinzeit lernte er, Wolle und Leinenstoffe zu weben. Grundbestandteil aller Textilien sind Fasern, und zwar von natürlichen Materialien wie Wolle, Baumwolle, Leinen und Hanf sowie in neuerer Zeit künstliche Fasern, die chemisch erzeugt werden. Sie alle können rein oder vermischt verarbeitet werden, um bestimmte Trageigenschaften oder optische Wirkungen zu erreichen. Meist wird nicht die einfache Faser, sondern ein aus vielen Fasern gesponnenes Garn zur Herstellung von Kleidung verwendet. Durch Weben oder Wirken der Fasern und Garne entstehen textile Flächen, die dann zu Kleidungsstücken weiterverarbeitet werden können.
 
Kleidung wird heute fast ausschließlich industriell hergestellt, wobei die Textilindustrie zu den ältesten Industriezweigen überhaupt gehört. Ohne sie wäre der rasche technische und kulturelle Fortschritt in den westlichen Ländern kaum denkbar gewesen. Heute übernimmt die Textilindustrie eine Schlüsselrolle in den aufstrebenden Entwicklungsländern als Motor der wirtschaftlichen Entwicklung. Damit verknüpft sind weitreichende soziale und ökologische Veränderungen in diesen Ländern.
 
Doch nicht nur sich zu kleiden, sondern auch die Kleidung in kreativer Weise ansprechend zu gestalten ist ein menschliches Bedürfnis: Die Mode kann somit in allen Epochen als ein Barometer der Kultur und Kunst betrachtet werden. Seit dem Altertum bis heute gibt es eine enge Beziehung zwischen Kulturgeschichte und Mode.
 
 Kulturgut Kleidung
 
Sich kleiden gehört zu den elementaren Bedürfnissen des Menschen. Kleidung schützt den menschlichen Körper vor Kälte, Nässe, Sonne, Verletzungen und nicht zuletzt vor impertinenten Blicken. Ohne wärmende Kleidung könnte man in Nordeuropa noch nicht einmal den Winter überleben. Spezielle Schutzkleidung vermindert die Verletzungsgefahr durch mechanische Einwirkung, Chemikalien, extreme Hitze, Rauch, Staub, Bakterien oder elektrischen Strom. Kleidung bedeutet jedoch nicht nur Schutz vor Umwelteinflüssen, sie dient auch dem Schmuck. Schon seit jeher putzen sich die Menschen bei festlichen Anlässen heraus, um der geehrten Person ihre Anerkennung zu erweisen. Darüber hinaus hat die Kleidung oft eine symbolisch-kulturelle Bedeutung.
 
In allen Gesellschaften drücken Menschen durch ihre Art, sich zu kleiden, bestimmte Verhaltensweisen, Anschauungen oder Gruppenzugehörigkeiten aus. Sie signalisieren dem Betrachter beispielsweise das Geschlecht, den sozialen Stand, die Zugehörigkeit zu einem bestimmten Beruf oder auch Kreativität und Erotik. Stimmungen, Bedürfnisse und Eigenschaften können anderen Menschen über die Bekleidung mitgeteilt werden. Kleidung ist ein Teil der nonverbalen visuellen Kommunikation.
 
Beispiele für die religiöse Symbolkraft der Kleidung sind im Christentum das Taufkleid, das Brautkleid und auch das Totenhemd. In islamischen Gesellschaften symbolisiert die Verschleierung von Frauen ihren Ausschluss aus dem öffentlichen Leben, aber auch ihren Schutz vor der Öffentlichkeit. Auf Neuguinea tragen beispielsweise stillende Frauen ein weißes Kopftuch als Zeichen für die Mitmenschen, besonders rücksichtsvoll zu sein.
 
Mit gleichartiger landes- oder gruppentypischer Bekleidung zeigen Individuen und Gemeinschaften ihre Zusammengehörigkeit. Dies spiegelt sich beispielsweise in den Trachten verschiedener Volksgruppen, im einheitlichen Schal der Fußballfans einer Mannschaft und im Partnerlook wider. Auch der wirtschaftliche und berufliche Status findet Ausdruck in der Bekleidung. Typische Berufsbekleidungen sind etwa der weiße Kittel der Ärzte, der Talar der Richter oder der »Blaumann« der Mechaniker. Spezielle Uniformen sind Erkennungszeichen der Soldaten, der Polizisten oder der Feuerwehrleute. Aber auch die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Firma oder Handelskette kann sich in der Bekleidung zeigen.
 
Verschiedene Bekleidungsformen ermöglichen es, sich in wechselnden Rollen und unterschiedlichem sozialen Umfeld zu bewegen. Die Möglichkeiten reichen von Freizeit- und Sportkleidung zu Schlafanzug und Abendgarderobe. Kleidung ist ein Ausdruck der Persönlichkeit. Die Vielfalt der Stilrichtungen, die in der heutigen Kleidermode nebeneinander bestehen, und die Auswahl an Materialien ermöglichen heute einen größeren individuellen Spielraum denn je. Auf alle Fälle wird man sich in ihr nur wohlfühlen, wenn sie den eigenen Vorstellungen und den jeweiligen körperlichen Bedürfnissen entspricht.
 
 Kleidung im Wandel der Zeit
 
Vom Altertum bis in unsere Zeit hat sich die Kleidermode fortlaufend verändert, sodass sich jede Epoche durch ihren eigenen Kleidungsstil charakterisieren lässt. Während früher die Kleidermode über einen längeren Zeitraum hinweg Bestand hatte, wechselt heute die Mode in immer kürzeren Abständen. Ermöglicht wurde dies durch die maschinelle Herstellung von Textilien und die Erfindung der Chemiefasern. Textilien können als Massenware kostengünstig produziert werden. Mit dem technischen Fortschritt hat sich auch die Auswahl der Faserrohstoffe erweitert. Noch vor 200 Jahren bestanden hierzulande 70 Prozent der Kleidungsstücke aus Wolle und 30 Prozent aus Leinen. Seit der Erfindung der Spinn- und Webmaschinen und dem Anbau von Baumwolle in Plantagen stieg die Baumwollproduktion stark an. Anfang des 20. Jahrhunderts beherrschten Baumwollstoffe den Welttextilmarkt mit einem Anteil von 80 Prozent. Die Baumwollfaser drängte Wolle und Leinen zurück, denn die Verarbeitung von Baumwolle war leichter mechanisierbar und kostengünstiger als die Gewinnung von Wolle und Leinen. Andere Faserarten wie Seide lagen damals unter einem Prozent.
 
Baumwolle hat neben den geringen Produktionskosten auch den Vorzug, dass sie hautfreundlich, weich und geschmeidig sowie einfach zu pflegen ist. Wolle wird oft als kratzig empfunden und bedarf besonderer Pflege. Leinen fühlt sich steif an und knittert zudem stark.
 
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurde auf der Weltausstellung in Paris erstmals Kunstseide präsentiert. Das neuartige Produkt, auch Viskose genannt, ließ sich aus Baumwollabfällen und Holz durch chemische Prozesse gewinnen und hatte in den 1920er- und 30er-Jahren seine Glanzzeit.
 
In den 1950er-Jahren revolutionierten die ersten synthetischen Chemiefasern den Textilmarkt. »Nylons« ersetzten die teuren Damenstrümpfe aus Naturseide. Zu den Wunderschöpfungen der Nachkriegszeit zählt auch das Nyltesthemd. Heute erinnert man sich nur ungern an die ersten Synthetics, denn sie vergilbten schnell und ließen rasch einen unappetitlichen Schweißgeruch aufkommen. Heute ist das Nyltesthemd nur noch im Museum zu sehen, denn neue Chemiefaserstoffe mit besseren Trageeigenschaften haben diesen Prototyp verdrängt. Es handelt sich hauptsächlich um Polyamid- und Polyesterstoffe, die auch unter dem Begriff Technostoffe bekannt sind.
 
Für das neue Jahrtausend stellen Textilchemiker noch ganz andere Wunderstoffe in Aussicht: Zum Beispiel Stoffe, die speziell vor ultravioletter Strahlung schützen, die bei Temperaturschwankungen die Farbe ändern, nach Jasmin oder Zitronen duften oder im Dunkeln leuchten. Kurz vor der Marktreife stehen Skianzüge, die Sportler aktiv wärmen, sobald die Hauttemperatur sinkt, oder Motorradhosen, die sich beim Sturz in einen lebensrettenden Airbag verwandeln.
 
 
Zu den Textilien zählen nicht nur Bekleidungstücke, sondern auch Heim- und Haustextilien sowie technische Textilien. Unter Heimtextilien versteht man all diejenigen Stoffe, die zur Wohnungsausstattung gehören, also Möbel- und Dekorationsstoffe, Vorhänge, Gardinen, Teppiche und Teppichböden. Haustextilien umfassen Handtücher, Tisch- und Bettwäsche, Bettwaren und Decken. Technische Textilien sind für spezielle technische Anwendungsgebiete entwickelte Textilprodukte, die zu einem hohen Anteil aus Chemiefasern bestehen: Zum Beispiel Reifencord, Wagenplanen, Schnüre, Seile, Fischernetze, Filter, Dämmmaterial, Zelte, Mullgewebe und medizinisches Nähgarn.
 
Der Werdegang einer Textilie ist langwierig; ihr Herstellungsprozess führt von der Erzeugung der Fasern über die Gewinnung und Verarbeitung der Rohstoffe, der Färbung und Ausrüstung bis hin zum fertigen Kleidungsstück. Doch auch die Herstellung eines Hemdes vom Rohstoff bis zur verkaufsfertigen Ware beschreibt nur einen Teil des Wegs einer Textilie. Der gesamte Lebensweg, die textile Kette, ist weitaus länger. Nachdem ein Hemd sauber gebügelt und gefaltet sowie sorgfältig verpackt die Fabrik verlassen hat, gelangt es über den Handel zum Verbraucher. Dort verrichtet es seine Dienste, indem es bis zum Ausrangieren immer wieder getragen und gereinigt oder gewaschen wird. Doch auch dann muss sein Weg noch nicht zu Ende sein: Über die Kleidersammlung kann das Hemd erneut in den Handel gelangen oder es findet in Secondhandläden oder Kleiderkammern einen neuen Träger. Es könnte auch auf den Märkten Afrikas oder Asiens wieder auftauchen. Ist es nicht mehr tragbar, kann es noch zu anderen Produkten verarbeitet werden, wie zu Matratzenfüllungen, Sitzpolstern und Dämmvliesen. Die Endstation der textilen Kette, die Entsorgung, erreicht es nur im Ausnahmefall unmittelbar.
 
 Gesundheitliche, ökologische und soziale Aspekte
 
Textilien sind wichtige Konsumgüter. Rund 26 Kilogramm verbrauchen deutsche Bürger pro Kopf und Jahr. Beim Kauf von Kleidung sind nach wie vor in erster Linie der modische Aspekt, der Preis und das Material entscheidend. Aber auch gesundheitliche Aspekte spielen zunehmend eine Rolle, da die Zahl der Allergiker steigt, und besonders Säuglinge und Kinder empfindlich auf Reizstoffe in der Kleidung reagieren. Weniger die Fasern selbst als vielmehr die in der Kleidung verbliebenen Farbstoffe und andere Textilchemikalien können Hautreizungen und Allergien verursachen und teilweise auch Krebserkrankungen begünstigen.
 
Ein Großteil der Textilien wird heute in Dritte-Welt-Ländern produziert. Die bei der Herstellung eingesetzten Chemikalien belasten Wasser, Luft und Boden sowie die Gesundheit der Textilarbeiter stark. Die Arbeitsbedingungen in der Textilindustrie der Entwicklungsländer sind auch unter sozialen Gesichtspunkten katastrophal. Lange Arbeitstage, geringer Lohn, keine soziale Absicherung bei Krankheit und Arbeitsunfällen beschreiben nur schlaglichtartig die Situation. Im Gegensatz dazu setzen sich Hersteller von Öko-Bekleidung für eine umweltgerechte und sozialverträgliche Textilproduktion ein. Inzwischen fragen viele Verbraucher bereits nach Alternativen zur herkömmlich produzierten Ware.
 
Dr. Cornelia Voss
 
Weiterführende Erläuterungen finden Sie auch unter:
 
Textilien: Geschichte der Herstellungstechniken
 
 
Binger, Doris: Das Echo vom Kleiderberg. Mode + Ökologie - Wege einer sinnvollen Verbindung. Frankfurt am Main 1994.
 Hingst, Wolfgang / Mackwitz, Hanswerner: Reiz-Wäsche. Unsere Kleidung: Mode, Gifte, Öko-Look. Frankfurt am Main u. a. 1996.
 Hofer, Alfons: Textil- und Modelexikon.2 Bände. Frankfurt am Main 71997.
 Maute-Daul, Gabriele: Mode und Chemie. Fasern, Farben, Stoffe. Berlin u. a. 1995.
 Rosenkranz, Bernhard / Castelló, Edda: Textilien im Umwelt-Test. Neuausgabe Reinbek 1994.
 
Textil und Bekleidung, herausgegeben vom Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland e. V. (BUND), Landesverband Baden-Württemberg. Bearbeitet von Monika Balzer u. a. Stuttgart 1996.
 
Textilwirtschaft. Globale Schönfärberei, herausgegeben von Jacob Radloff. Bearbeitet von Beatrice Lugger u. a. München 1996.
 Voß, Cornelia: Wieviel Chemie braucht die Mode? Herausgegeben vom Hessischen Ministerium für Umwelt, Energie, Jugend, Familie und Gesundheit. Mainz 1997.
 Ziegler, Juwitha: Chemie in der Kleidung. Worauf die Verbraucher achten müssen. Frankfurt am Main 1996.
 Müller, Wolfgang: Textilien. Kulturgeschichte von Stoffen und Farben. Landsberg am Lech 1997.

Universal-Lexikon. 2012.

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